In unserer › NP aktuell Ausgabe II / 2009 hatten wir über die Entscheidung in 2. Instanz im Fall der Kassiererin „Emmely“ berichtet. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte am 24.02.2009 die fristlose Kündigung einer Kassiererin bestätigt, die unberechtigt Leergutbons im Wert von € 1,30 eingelöst hatte. Die öffentliche Kritik an dieser Entscheidung fiel u. a. deshalb so stark aus, weil die Kassiererin schon seit über 30 Jahren bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt war.
Schon im sog. „Bienenstich-Fall“ hatte das Bundesarbeitsgericht erstmalig 1984 entschieden, dass auch der Diebstahl geringwertiger Sachen grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen kann.
An dieser Ansicht hatte denn auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in der Entscheidung „Emmely“ angeknüpft. Wenn das Vertrauen des Arbeitgebers durch eine noch so geringfügige vorsätzliche Eigentumsverletzung in erheblichem Maße gestört sei, könne dieser grundsätzlich fristlos kündigen.
Salomonische Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht hat nun in seiner Entscheidung vom 10.06.2010 diesen klaren Grundsatz zunächst im Wesentlichen bestätigt! Allerdings war das Gericht – anders als die Vorinstanzen – der Ansicht, dass im konkreten Fall der Kassiererin „Emmely“ die lange Betriebszugehörigkeit von 31 Jahren „zu einem großen Vorrat an Vertrauen“ geführt habe, „der nach einer einmaligen Verfehlung nicht völlig aufgezehrt ist.“
„Emmely“ sei – so das Gericht – eine erhebliche Pflichtverletzung vorzuwerfen. Dem Arbeitgeber sei es aber zuzumuten, sie weiter zu beschäftigen. Die Festschreibung von sogenannten Bagatellgrenzen bei Minidiebstählen hielt das Gericht konsequenterweise weiterhin für problematisch.
Konsequenzen aus der Entscheidung
Nach wie vor kann ein Arbeitgeber grundsätzlich einem Mitarbeiter kündigen, wenn dieser auch nur den geringsten Wert unerlaubt entwendet. Allerdings darf der Arbeitgeber in Zukunft nicht einfach darauf vertrauen, dass der Diebstahl an sich die Kündigung vor den Arbeitsgerichten „wasserdicht“ macht. Vielmehr sind vor Ausspruch der Kündigung die anderen Umstände des Arbeitsverhältnisses sehr genau zu prüfen; insbesondere muss das Vertrauensverhältnis tatsächlich und unwiderbringbar nachhaltig durch den Bagatelldiebstahl zerstört sein. Es mag dabei folgende Faustformel helfen:
Je länger sich ein Mitarbeiter in der Vergangenheit als zuverlässig erwiesen hat, desto gravierender muss der durch den (Bagatell-) Diebstahl entstandene Vertrauensverlust ausfallen, um eine fristlose Kündigung rechtfertigen zu können.