Das Oberlandesgericht München hat in einem Urteil vom 17. Juli 2013 (AZ 3 U 4789/09) entschieden, dass grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass eine Person, die an Altersdemenz mittleren Grades mit Phasen der Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit leidet, nicht (mehr) wirksam testieren kann.
Es kommt immer wieder vor, dass Erblasser noch kurz vor ihrem Tod ein Testament errichten, ändern oder Immobilien verschenken.
Solange nicht nachgewiesen werden kann, dass der Erblasser im Moment der Testamentserrichtung oder Immobilienübertragung testier- bzw. geschäftsunfähig war, besteht zunächst die grundsätzliche Vermutung, dass die Verfügung wirksam ist. Für all jene, die eigentlich damit gerechnet hatten, Erbe zu werden oder davon ausgingen, dass eine bestimmte Immobilie nach dem Tod noch im Nachlass sein dürfte, haben mithin den Gegenbeweis anzutreten, dass Testier- bzw. Geschäftsunfähigkeit vorlag. Dieser Nachweis ist in der Praxis nur über psychiatrische Fachgutachten bzw. Zeugenvernehmungen zu erbringen.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München ist nun deshalb sehr zu begrüßen, weil dem zunächst geltenden Grundsatz der Testier- bzw. Geschäftsfähigkeit ein weiterer „korrigierender“ Grundsatz zur Seite gestellt wurde.
Wörtlich führt das Gericht aus:
„Gemessen an den Anforderungen an die Testierfähigkeit, nämlich die Vorstellung des Testierenden, dass er ein Testament errichtet und welchen Inhalt die darin enthaltenen einstweiligen Verfügungen aufweisen, wobei er in der Lage sein muss, sich ein klares Urteil zu bilden, welche Tragweite seine Anordnungen haben, insbesondere welche Wirkungen sie auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen ausüben, einschließlich der Gründe, welche für und gegen die sittliche Berechtigung der Anordnungen sprechen, und dem spezifischem Erfordernis, dass der Testierende nach seinem so gebildeten Urteil frei von Einflüssen Dritten handeln können muss, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Person, die an Altersdemenz mittleren Grades mit Phasen der Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit leidet, nicht wirksam testieren kann.“
Wenn im konkreten Fall konkrete Anhaltspunkte für eine Altersdemenz mittleren Grades bestehen, sollte in jedem Fall geprüft werden, ob das späte Testament oder die Immobilienübertragung „im letzten Moment“ nicht unwirksam ist und damit der zuvor bedachte Erbe wirtschaftlich profitieren könnte.
Es sei in diesem Zusammenhang besonders darauf hingewiesen, dass für die vom Gericht angenommene grundsätzliche Testierunfähigkeit bereits ausreichte, dass im Rahmen der mittelschweren Altersdemenz phasenweise Verwirrtheit oder Orientierungslosigkeit vorlag. D.h. selbst wenn testierende Personen im Moment der Testamentserrichtung oder Unterzeichnung des Immobilienschenkungsvertrages bei Außenstehenden (einschließlich Notar) den Anschein erwecken, sie seien völlig klar, müssten nunmehr die zuletzt bedachten Personen wiederum den Gegenbeweis antreten, dass im konkreten Errichtungszeitpunkt tatsächlich ein sog. „lucidum intervallum“ vorlag, also die Besserung des Gesundheitszustands (etwa weil eine sog. vaskuläre Demenz vorlag, die auf Durchblutungsstörungen des Gehirns zurückgeht und bei der die kognitiven Beeinträchtigungen sehr schwankend sein können).
Da in solchen Verfahren vieles, wenn nicht gar alles, von der Beweislastverteilung abhängt, kommt der Entscheidung aus München erhebliche Bedeutung zu.
Menschen mit einer mittelschweren Demenz nehmen sich selbst gar nicht als krank wahr und schaffen es oft, alle Kräfte zusammennehmen, um nach außen „ihre Fassade zu halten.“ Nach der DSM 3-Methode der amerikanischen Psychiatrie ist eines der diagnostischen Kriterien für mittelschwere Demenz, dass eine selbständige Lebensführung zwar mit Schwierigkeiten, aber immerhin noch möglich ist und nur ein „gewisses Maß“ an Aufsicht notwendig ist.
Dies alles macht es in der Regel für sämtliche Beteiligte so schwer, eine tatsächlich vorliegende Testierunfähigkeit überhaupt zu erkennen oder gar für möglich zu halten: In all diesen Fällen, ist das Urteil aus München nun hilfreich.
Immer dann nämlich, wenn es Anhaltspunkte für eine mittelschwere Altersdemenz mit zeitweiser Verwirrtheit oder Orientierungslosigkeit gibt, lohnt es sich in jedem Fall, späte Testamente oder Immobilienübertragungen als wirtschaftlich Betroffener nicht einfach zu akzeptieren, sondern zu kämpfen!