Bekanntlich kann jeder durch Testament zunächst frei bestimmen, wer sein Erbe werden soll. Allerdings können Kinder und Ehegatte in Fällen der Enterbung den Pflichtteil geltend machen. Um die konkrete Höhe des Pflichtteils zu bestimmen, braucht man zwei Parameter, nämlich zunächst die Pflichtteilsquote und zum anderen einen (evtl. fiktiv zu errechnenden) Wert des Nachlasses, auf den sich die Pflichtteilsquote bezieht. Ersteres ist unproblematisch, da die Pflichtteilsquote gesetzlich immer die Hälfte der gesetzlichen Erbquote beträgt. Sehr viel schwieriger ist in der Praxis zu bestimmen, aus welcher konkreten Summe die Pflichtteilsquote verlangt werden kann. Der Gesetzgeber hat einen Mindestschutz für die Pflichtteilsberechtigten vorgesehen, so dass es etwa nicht möglich ist, als Erblasser noch kurz vor seinem Tod einen Großteil des Nachlasses schlicht zu verschenken, um damit den Pflichtteil so gering wie möglich werden zu lassen. So sind nach dem seit 01.01.2010 geltenden Erbrecht Schenkungen, die in den letzten 10 Jahren vor Tod vollzogen wurden, dem Nachlasswert zum Todestag fiktiv hinzuzurechnen, wobei für jedes Jahr, das von den 10 Jahren schon verstrichen ist, 10% „abgeschmolzen“ werden.
Möglichkeit der Reduzierung von Pflichtteilsansprüchen durch Lebensversicherungen?
Immer wieder greifen Erblasser, die den Pflichtteil soweit wie möglich reduzieren wollen, neben den oben angesprochenen Schenkungen auch zum Abschluss von Lebensversicherungsverträgen, wobei diese nicht an die Pflichtteilsberechtigten, sondern an die testamentarisch eingesetzten Erben oder andere Personen ausgezahlt werden sollen. Lebensversicherungsbeträge fallen grundsätzlich nicht in den Nachlass und werden an jene von den Versicherungen ausgezahlt, die der Erblasser als sog. Bezugsberechtigte zu Lebzeiten angegeben hat. Es liegt auf der Hand, dass Pflichtteilsberechtigte in solchen Fällen darum kämpfen, den Wert der Lebensversicherungen in die Pflichtteilsberechnung mit einbeziehen zu wollen, schließlich kann es bei entsprechender Gestaltung zu erheblichem Vermögensabfluss zu Lebzeiten in Lebensversicherungsverträge kommen, die dann gerade nicht mehr in den Nachlass fallen und eine Reduzierung der Pflichtteilsansprüche bedeuten würden.
Bisherige Rechtsprechung des BGH
In solchen Fällen hatte der BGH bis zu seiner Änderung der Rechtsprechung durch Urteile vom 28.04.2010 (Az.: IV ZR 73/08 sowie IV ZR 230/08) – noch in Fortführung der Rechtsprechung des Reichsgerichts – stets angenommen, dass die Summe der vom Verstorbenen gezahlten Prämien dem Nachlass zur Berechnung der Pflichtteilsansprüche fiktiv hinzuzurechnen werden müssten.
Neue Rechtsprechung des BGH
Diese Rechtsprechung hat der BGH nun aufgegeben. Zuvor hatte das OLG Düsseldorf die Ansicht vertreten, dass nicht die zu Lebzeiten eingezahlten Prämien fiktiv hinzugerechnet werden müssten, sondern sogar die volle Versicherungssumme. Der BGH folgte weder dieser Berechnungsart, noch wollte er es bei seiner bisherigen Praxis der Hinzurechnung der gezahlten Prämien belassen und bestimmte, dass es nunmehr auf den Wert ankommt, den der Verstorbene in der letzten juristischen Sekunde seines Lebens nach objektiven Kriterien noch für seinen Lebensversicherungsvertrag am Markt hätte erzielen können.
Demnach ist bei Berechnung von Pflichtteilsrechten, sofern Lebensversicherungen eine Rolle spielen, weder die Versicherungssumme, noch die gezahlten Prämien dem Nachlass fiktiv hinzuzurechnen, sondern i.d.R. schlicht der Rückkaufwert der Lebensversicherung zum Todeszeitpunkt.
Der BGH lässt jedoch auch einen anderen höheren Wert als den von der Versicherung angegebenen Rückkaufswert zu, wenn vom Pflichtteilsberechtigten dargelegt werden kann, dass aufgrund besonderer Umstände die Lebensversicherung einen objektiv höheren Marktwert hat.
Pflichtteilsberechtigte werden durch die neue Rechtsprechung in der Regel gegenüber der früheren Ansicht des BGH schlechter gestellt, da der Rückkaufwert häufig sogar unterhalb der eingezahlten Prämien liegt.
Dennoch oder gerade deshalb ist jeder Einzelfall sorgfältig am besten durch einen Anwalt zu prüfen.